FAZ: Die Vollendung der Schönheit

Das Taj Mahal ist eine der bekanntesten Sehenswürdigkeiten der Welt. Sollte man besser einen großen Bogen darum machen – oder es genau deshalb besuchen?

Es war unmöglich, ohne vorgefasste Meinung zu diesem Totenpalast zu kommen. Ausgeschlossen, so zu tun, als hätten wir noch nie von ihm gehört, nie gelesen über die unsterbliche Liebe des Großmoguls Shah Jahan zu seiner dritten Frau Mumtaz Mahal. Vergeblich, zu behaupten, wir hätten kein einziges Bild eines der am häufigsten fotografierten Gebäudes der Welt gesehen. Wie also geht man als Reisender mit einer solchen Ikone um? Kann einem das Taj Mahal noch irgendetwas vermitteln, das man nicht längst ahnte oder wusste? Bringt der Besuch mehr als nur einen Haken auf der Liste der Orte, die man in seinem Leben gesehen haben sollte? Wir hatten unsere Zweifel.

Natürlich war das Denkmal auch Teil unserer Rundreise durch Nordindien. Wie sollte es anders sein? Nordindien ohne Taj Mahal wäre wie Venedig ohne Markusplatz, wie New York ohne Empire State Building. Der Veranstalter hatte es ganz selbstverständlich aufs Programm gesetzt, gleich an zweiter Stelle nach der Ankunft in Delhi. Das Wichtigste zuerst, das Unvermeidliche sofort. Als wir in Agra in unserem Hotel ankamen, brachte auch der lächelnde Mann an der Rezeption den einzig denkbaren Sinn unseres Kommens sogleich auf den Punkt: „Sie haben Glück, Sir! Upgrade, Sir. Executive Room, Taj Mahal View!“ Doch es war ein leeres Versprechen. Über der Millionenstadt Agra hing der Smog. Als wir im Zimmer die Vorhänge zur Seite zogen, sahen wir nichts.

Gegen vier Uhr am Nachmittag traf unser Führer ein. Tarun Indolia, 38 Jahre alt, aus Agra. Ein freundlicher Mann, der am Goethe-Institut Deutsch gelernt hatte und es sehr gut sprach. „Wir wollen nur mal gucken“, sagten wir zu ihm, bevor wir in den Wagen stiegen. Ein Blick, ein Foto – das müsste genügen. Wir versuchten es so höflich zu sagen, wie es nur ging. „Meinetwegen“, erwiderte Tarun gelassen. Wenn wir es so wollten, sei das kein Pro­blem. Er selbst hat das Taj Mahal schon tausendmal besichtigt, annähernd zehntausend Menschen hindurchgeführt, Sin­gles, Paare, Großfamilien, kleine Kinder und gebeugte Greise, verträumte Teenager und nervöse Manager, Politiker und Staatschefs. Jeder bekam von ihm die Tour, die er oder sie sich wünschte. Er hatte alles gesehen. Alles erlebt. Aber eines noch nie. Und das sagte er uns nicht als Belehrung, sondern eher wie eine Warnung: dass jemand das Taj Mahal verließ und völlig unbeeindruckt blieb ...

Welt am Sonntag: Die Ampel der Götter

Einmal im Leben die Polarlichter sehen – unser Autor begibt sich auf Aurora-Jagd in den eiskalten Norden Schwedisch Lapplands 

Graue Schleier ziehen wie Rauch über den Nachthimmel. Sind es Wolken – oder die ersehnten Polarlichter? Tourguide Felix Feislachen hatte vor der Abfahrt gesagt: „Wenn man durch die Schleier noch die Sterne sieht, dann sind es Polarlichter.“ Keine Winterwolke sei so dünn. Ich sehe Sterne. Das spricht für Polarlichter. Außerdem bin ich in Abisko. Auch das spricht dafür. Das Dorf in Schwedisch Lappland, wo sich Rentier und Braunbär gute Nacht sagen, gilt als Mekka der Aurora-Fans. Es ist einer der besten Orte weltweit, um das Himmelsleuchten zu erleben. Bleibt man mindestens drei Nächte, beträgt die Chance in der Saison zwischen September und März angeblich bis zu 80 Prozent. Aber schmutzgraue Schleier? „Du musst Geduld haben“, mahnt Felix. Geduld ist leider nicht meine Stärke. Ich starre in den Himmel, als könnte ich die Lichter herbeizwingen, wenn ich mich nur konzentriere.

Neben mir stehen sieben junge Portugiesen, alle um die 30, eingehüllt in dicke Jacken. Auch sie starren in den Himmel. Gemeinsam sind wir mit Felix auf Aurora-Jagd. „Einmal im Leben“, sagt eine fast beschwörend, „will ich die Polarlichter sehen.“ Ihr geht es so wie mir. Auch mich begleitet die Sehnsucht seit Jahren.

Als Kind las ich in Hans Christian Andersens „Die Schneekönigin“ von den Nordlichtern, da wirkten sie bedrohlich. „Es war gerade, als sprühe der Himmel Feuer“, schrieb der Däne. Jahre später sah ich die Aurora in der Ausstellung einer Fotografin. Ihre Aufnahmen waren Explosionen in Rot, Grün, Gold und Violett – wie ein irres, letztes Wetterleuchten vor dem Weltuntergang. Meine Sehnsucht wuchs. Als ich hörte, dass die Lichter in diesem Winter besonders intensiv sein würden, weil die Sonne gerade eine eruptive Phase durchläuft, beschloss ich, nach Lappland zu fahren.

Die Ankunft war allerdings ernüchternd. Als mein Flugzeug in Kiruna landete, hing über Schwedens nördlichster Stadt ein Himmel wie aus Beton gegossen. Unwahrscheinlich, dass er in den nächsten Tagen aufreißen würde, so sah es die Wetter-App. Ein tannengrüner Mietwagen wartete auf mich, mit Spikes in den Reifen, jedoch ohne Navi. „Es gibt nur eine Straße, die E10“, hatte der Mann am Schalter gesagt. „Fahren Sie einfach geradeaus. Irgendwann kommt Norwegen, kurz davor halten Sie an. Dann sind Sie in Abisko.“

So war es. Die zweispurige Straße führte durch Taiga und Tundra, vorbei an Siedlungen, oft nur zwei oder drei Häuser, die Krokvik hießen, Rautas, Rensjön, Bergfors. Namen wie aus nordischen Sagen. Manchmal kam mir ein Lkw entgegen. Aber meist war ich allein auf weiter Flur. Jäh vorbei war die Einsamkeit, als ich nach anderthalb Stunden die „STF Abisko Turiststation“ erreichte, 200 Kilometer nördlich vom Polarkreis...

Tages-Anzeiger Zürich : Asiens Superstädte

Singapur und Bangkok sind die beliebtesten Metropolen Asiens. In beiden wurde in den letzten Jahren massiv investiert und gebaut. Und doch könnten die Städte kaum unterschiedlicher sein 

Bei den besten Bars der Welt hat Bangkok knapp die Nase vorn. In der Rangliste für 2023 rangiert der erst vor zwei Jahren eröffnete BKK Social Club im Four Seasons Hotel auf dem 13. Platz. Der Club ist gemäss Liste zugleich die beste Bar in ganz Asien. Nur einen Platz dahinter folgt aber schon Singapur: mit Jigger & Pony, wo die junge Thekenmannschaft so unbescheiden benannte Drinks serviert wie «Greatest Of All Time», gemixt aus japanischem Whisky, Zitrone, Eischnee – und lokal erzeugter Ziegenmilch. Man hatte gar nicht gewusst, dass in dem südostasiatischen Stadtstaat noch Ziegen gehalten werden! Der ungewöhnliche Cocktail schmeckt erstaunlich gut. Erst dank einem Hinweis des Barmanns verstehen wir auch den selbstbewussten Namen, «Greatest Of All Time»: Die Anfangsbuchstaben ergeben «Goat», das englische Wort für Ziege. 

Nun ist ein guter Drink vermutlich nur für wenige Leute ein ausreichender Grund, sich für zwölf Stunden in den Flieger nach Fernost zu setzen. Doch nicht allein mit ihren Bars haben sich Bangkok und Singapur als Touristenziele in den letzten Jahren weit nach vorn gearbeitet. 

Spätestens seit dem Film «Crazy Rich Asians» (der es seit seiner Erscheinung 2018 zu Kultstatus gebracht hat) hat die Welt begriffen, dass man in der Finanz- und Hafenmetropole Singapur auch eine gute Zeit verbringen kann. Bangkok wiederum ist mit seinen spektakulären Wolkenkratzern, die zu seinen märchenhaften alten Tempeln und Königspalästen dazugekommen sind, ohnehin seit Jahren als Städteziel im Aufschwung. Es gilt mit 23 Millionen ausländischen Gästen jährlich als die meistbesuchte Stadt der Welt, vor Paris und London. Bei der Zahl der Fotos auf Instagram wird Bangkok nur noch von New York verdrängt... 

FAZ: Der ewige Gärtner

Nirgendwo kommt man dem exzentrischen Monarchen so nah wie in Highgrove, dem märchenhaften Rückzugsort von König Charles III. im Westen Englands

Es war einmal ein Garten, der lag zwischen den Wiesen und Weiden Englands, und in ihm hausten Schweine, es sah gar wild und wüst aus. Da kam ein Prinz von edlem Geblüt. Er sah das wüste Land und sprach: „Hier will ich bleiben und ein Heim zu meinem Wohlgefallen errichten.“ Der Prinz sandte die Bulldozer, dann die Bagger, die Laster und die Kräne. Der Sommer kam und ging, der Winter kam und ging, und kaum wenige Jahre später war aus der Ödnis im fernen Westen Englands ein blühendes Land geworden, wie es seinesgleichen sucht in ganz Albion.

So märchenhaft können wir die Geschichte von Highgrove beginnen, dem privaten Landsitz von König Charles. Denn sie ist wahr. Als Charles 1980, noch Kronprinz und gerade 31 Jahre alt, zum ersten Mal einen Blick auf seinen späteren Lieblingsort nahe dem Marktflecken Tetbury in der Grafschaft Gloucestershire warf, war Highgrove ein nichtssagendes und vernachlässigtes Anwesen, das Herrenhaus war grauer Kasten ohne jeden architektonischen Reiz, gebaut im späten 18. Jahrhundert für einen reich gewordenen Tuchhändler. Der 120 Hektar große Garten bestand im Wesentlichen aus einem löchrigen Rasen und einem überwucherten Küchengarten. Der einzige Trost fürs Auge war eine alte Libanon-Zeder, die mit ihrer gewaltigen, immergrünen Krone die Westseite des Hauses beschattete. 

Highgrove gehörte damals dem Sohn des ehemaligen britischen Premierministers Harold Macmillan. Maurice Macmillan wusste nichts mehr damit anzufangen, das Haus war ihm zu weit entfernt von London. Er stellte es in der „Times“ zum Verkauf. Der Makler, der sich zu seiner Überraschung plötzlich mit einem Besichtigungswunsch des Prince of Wales konfrontiert sah, war sich sicher, dass Charles auf dem Absatz umdrehen würde, sobald er die Immobilie gesehen hatte. Doch wie so oft bei dem eigenwilligen Erstgeborenen von Königin Elisabeth kam es anders. Charles sah etwas in dem kargen, windgepeitschten Stück Land, was sonst offenbar niemand sah. Er nannte Highgrove eine „leere Leinwand für meine exzentrischen Ideen“. Dass das Haus zwei Stunden von Buckingham Palace entfernt lag, war vermutlich für ihn eher ein Vorteil. Dass eine gewisse Camilla Parker Bowles nur 30 Kilometer weiter südlich ebenfalls einen Landsitz besaß, spielte vielleicht auch eine Rolle. Charles bezahlte für Highgrove 865.000 Pfund. Die Wirtschaftszeitschrift „Forbes“ schätzt den Wert heute auf mehr als 40 Millionen.

Kühn war der Kauf auch deshalb, weil Charles als Gärtner ein blutiger Anfänger war. In einem Buch über seinen Landsitz, das er 1993 mit dem Umweltjournalisten Charles Clover schrieb, machte er keinen Hehl aus seiner Ahnungslosigkeit. Bis Highgrove habe sich sein Ehrgeiz im Grünen darauf beschränkt, „offizielle Bäume in sehr offizielle Löcher zu stecken“. Dass er außerdem kurz vor der Hochzeit mit der neunzehnjährigen Lady Diana Spencer stand, die ebenfalls nicht den Ruf hatte, am Wochenende auf dem Land in die Gummistiefel zu schlüpfen und die Beete vom Unkraut zu befreien, machte sein Vorhaben nicht naheliegender. Diese Vorgeschichte muss man kennen, wenn man heute, viereinhalb Jahrzehnte später, nach Highgrove kommt. Nur so versteht man das Wunder, das dem königlichen Hobbygärtner in den sanften Hügeln der Cotswolds gelungen ist...

Welt am Sonntag: Im Labyrinth des Hauptbahnhofs

Tokyo Station ist ein faszinierendes Reich aus Gleisen und Gängen. Ein perfekter Ort, um zu verstehen, wie Japan tickt

Der Kontrast zwischen außen und innen könnte, wie es vielleicht typisch ist für Japan, kaum größer sein. Kein Schild mit dem Wort Bahnhof, weder in der Landessprache, noch auf Englisch, ziert die dreistöckige Backsteinfassade von Tokios Hauptbahnhof. Auch kein Logo der East Japan Railway Company oder wenigstens eine Bahnhofsuhr. Alles konzentriert sich auf die Architektur im westlichen neobarocken Stil, vor mehr als einem Jahrhundert entworfen. Erst wenn man sich dem geschlossenen Haupttor nähert, das für den wichtigsten Fahrgast des Landes reserviert ist, den Kaiser, entdeckt man drei kleine Zeichen in Kanji-Schrift auf einem flachen Stein: Tokio Eki – Tokio Bahnhof. Doch kaum tritt man hinein, entfällt alle Zurückhaltung. Plötzlich sieht man sich einer Flut an Schildern und Hinweisen ausgesetzt. 

Dies sind die Aufschriften eines einzigen Wegweisers nach dem Durchgang in die fahrkartenpflichtige Zone: GRANSTA Underground North Exit (IC Card only), Gin-no suzu Waiting Area, Square Zero Waiting Area, Coin Lockers, Parcel Storage, Yaesu Underground Central Exit, Shinkansen, Keiyo-Line (for Maihama) via 1F Concourse. Man liest von links nach rechts, ist verwirrt, liest aufs Neue – und bekommt einen Schreck. So viele Möglichkeiten, so viele Orte. Das Erstaunlichste aber ist: Alle Pfeile zielen nur in eine Richtung, geradeaus.


Deutsche, so heißt es, haben den Schilderwald erfunden. Doch die Japaner lieben Schilder offenbar noch viel mehr. Es müssen Hunderte Hinweise und Pfeile sein, eher Tausende, die diesen Bahnhof zieren wie einen überdekorierten Weihnachtsbaum.  Der Mensch, das unbeholfene Wesen, er muss geführt und geleitet werden. Jedenfalls in Japan. „Tokyo Station“, wie im Inneren überall auf Englisch geschrieben steht, ist nicht nur ein Bahnhof, es ist ein schützender Kokon, in dem nichts unerwähnt bleibt und kein Weg verschwiegen. Wenn Bahnhöfe immer auch Abbilder ihrer Gesellschaft sind, dann kann man aus diesem faszinierenden Reich der Schilder und Hinweise schließen, dass die Welt aus Sicht der Japaner ein riskanter Ort ist, an dem besser nichts dem Zufall überlassen bleibt. 

 Halb neun am Morgen. Hunderte Pendler in dunklen Anzügen und Kostümen strömen gleichzeitig auf die Fahrkartenschleusen zu, um den Bahnhof zu verlassen und ihre Büros in den Wolkenkratzern des Banken- und Geschäftsviertels Marunouchi aufzusuchen. Still warten sie in der Schlange vor den Kartenlesegeräten, niemand drängelt, schweigend gehen sie ihres Weges.

Ein Sumo-Ringer tritt auf den Bahnsteig, erkennbar am gefalteten Pferdeschwanz auf dem Hinterkopf. Ein langer, türkisfarbener Seidenmantel mit goldener Schärpe umhüllt seinen voluminösen Körper. Vermutlich ist er auf dem Weg zur Sumo-Halle Ryogoku Kokugikan, vier Stationen entfernt. Niemand fragt nach, niemand spricht ihn an.

In Japans öffentlichem Personenverkehr will kein Passagier den anderen stören. Keiner kommt in der Tokioter U-Bahn auf die Idee, zu telefonieren oder lauthals ein lustiges Video abzuspielen. Hört man plötzlich ein Gespräch, dröhnendes Lachen gar, kann man so gut wie sicher sein, dass eine Gruppe ausländischer Touristen zugestiegen ist. Ein Aufeinandertreffen der Kulturen, das von den Einheimischen kommentarlos hingenommen wird. Doch still ist es deshalb in Toyko Station nicht. Das Vakuum des menschlichen Schweigens füllen Maschinen. Wo Schilder nicht reichen, sprechen Rolltreppen, Aufzüge, Geldautomaten. Sie sind die zweite Dimension des umfassenden Leitsystems. Sie schwatzen ohne Unterlass, fallen sich gegenseitig ins Wort, eine Kakofonie der Informationen... 


Welt am Sonntag: Drei Stürme in sieben Tagen

Auf ihrer ersten Transatlantikpassage kreuzt die neue „Grandeur“ durch zehn Meter hohe Wellen und kann längst nicht alle geplanten Häfen anlaufen. Doch die Passagiere behalten ihre gute Laune 

 Funchal, die Hauptstadt Madeiras, scheint das Schlagwort dieser Schiffsreise zu werden. Im Sinne von: Funchal, da wären wir gern gewesen. Dort sollte, wäre alles wie geplant verlaufen, noch ein sonniger Halt eingelegt werden, bevor es ernst wird mit der Atlantiküberfahrt der brandneuen „Grandeur“. Wie viele andere Kreuzfahrtschiffe auch, wechselt der gerade erst in Dienst gestellte Luxusdampfer von Regent Seven Seas zweimal im Jahr das Fahrgebiet. Die europäischen Sommermonate verbringt er im Mittelmeer, im europäischen Winter kreuzt er in der Karibik und Lateinamerika. Solche mehrtägigen Überfahrten quer über den gigantischen Ozean sind beliebt, es gibt mit Cunard sogar eine Reederei, die ganzjährig Transatlatikpassagen im Liniendienst anbietet.

Tagelang sehen die Gäste unterwegs nichts als Wasser – und genießen das als maximale Entschleunigung. Bei einigen Überfahrten steht die eine oder andere Zwischenstation im Programm, um unterwegs Nachschub zu laden und um den Passagieren jenseits vom Schiff zusätzliche Abwechslung bieten zu können. Deshalb steht auf dieser Reise Funchal auf dem Plan. Theoretisch. Aber praktisch macht ein Lotsenstreik einen Strich durch die Rechnung. Madeira wird abgesagt. Stattdessen bereitet Kapitän Luciano Montesanto die Passagiere darauf vor, dass sie sieben Seetage in Folge bis zum nächsten Ankerplatz in Bermuda auf der anderen Ozeanseite unterwegs sein würden. Der guten Laune an Bord tut das keinen Abbruch. 

 

„Funchal, sagten Sie?“ fragt Jeff Stevenson am Abend. Der britische Komiker plaudert die Gäste im Schiffstheater in Stimmung. Die Pointen schreiben sich für ihn fast von selbst, Funchal wird zum Running Gag seines Programms. Wenn er nach der Rückkehr gefragt werde, wo er denn gewesen sei, fährt Stevenson fort, „dann muss ich sagen: nirgendwo. Ohne Stopp sind wir über den Atlantik geschaukelt. Vorbei an Funchal. Und dafür habe ich viel Geld bezahlt!“ Das Publikum gluckst vor Vergnügen.
Am Ende dieser bemerkenswerten Kreuzfahrt wird allerdings niemand mehr von Funchal reden. Denn der wahre Hauptdarsteller der Reise ist der Atlantische Ozean, und der scheint sich gedacht zu haben: Warte nur, Stevenson, du wirst auf deine Kosten kommen! 

 

Und so schickt der Atlantik nicht einen, nicht zwei, sondern drei Stürme während der Überfahrt. Windgeschwindigkeiten bis zehn Beaufort, das sind bis zu 102 Stundenkilometer, suchen das Schiff mit Platz für maximal 744 Gäste heim. An Land kippen dann Bäume um, Dachziegel fliegen weg. Die „Grandeur“ hält sich tapfer und kreuzt stoisch durch zehn Meter hohe Wogen. Die Menschen an Bord versuchen ebenfalls, Haltung zu bewahren. „Rock ‘n‘ Roll“, sagt morgens Kellner Kevin, als er versucht, den Kaffee aus der Kanne in die Tasse zu zielen, ohne dabei umzufallen. „Der Atlantik ist unberechenbar“, konstatiert sein Chef, Kapitän Montesanto, „heute ist er glatt wie ein Kinderpopo, morgen aufgewühlt und stürmisch.“ Der 43 Jahre alte Italiener, seit 24 Jahren unterwegs auf hoher See, scheint umso vergnügter, je höher die Wellen schlagen... 


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